Impfungen

Die Optimierung aller therapeutischen Maßnahmen bei Patienten mit sekundären Immundefekten ist eine entscheidende Komponente zur Reduzierung schwerer oder rezidivierender Infektionen. 
Zum Präventionskonzept gehören neben anderen supportiven Maßnahmen auch prophylaktische Impfungen.[1] Prophylaktische Impfungen bilden einen wichtigen Teil des Präventionskonzepts bei sekundären Immundefekten, da Infektionen bei hämatologisch-onkologischen Patienten wesentlich zur Morbidität und Mortalität beitragen. Bei der Impfempfehlung muss jedoch die individuelle Immunsuppression durch einerseits die Grunderkrankung und andererseits die Therapiemaßnahmen berücksichtigt werden.[38,39]
 

Patienten-individuelle Impfungen

Impfungen von Patienten mit sekundären Immundefekten können auch bei suboptimaler Antikörperantwort einen gewissen Schutz durch T-Zell-vermittelte Reaktionen erzielen.[2] Impfempfehlungen beruhen aufgrund begrenzter Studiendaten hauptsächlich auf dem Konsens von Experten.[40]

Die Entscheidung bezüglich einer Impfung hängt von Patienten- und impfstoffspezifischen Faktoren ab, insbesondere vom jeweiligen Grad der Immunsuppression.[39]

  • Generell wird eine Impfung zu Beginn des Krankheitsverlaufs oder vor Beginn einer immunsuppressiven Behandlung empfohlen, da das Fortschreiten der Krankheit die Immunität und die Wirksamkeit des Impfstoffs weiter beeinträchtigen kann.[40]
  • Auch vor einer geplanten Transplantation ist zu erwägen, eine Grundimmunisierung durchzuführen.[2]
  • Insbesondere Erreger wie Pneumokokken oder Hämophilus influenza Typ b spielen eine große Rolle im Infektionsgeschehen und können durch Impfungen eingedämmt werden.[41]
  • Besondere Bedeutung hat zudem die Impfung gegen Influenzaviren mit Totimpfstoffen; Lebendimpfungen werden bei (primären und sekundären) Immundefekten nicht empfohlen.[2]
  • Eine weitere wichtige Maßnahme zum Schutz von immundefizienten Menschen ist die Umgebungsprophylaxe. Alle Haushaltsangehörigen und sonstige Kontaktpersonen sollten vollständig gemäß STIKO-Empfehlungen geimpft sein, vor allem gegen Masern, Mumps, Röteln, Varizellen, Pertussis und Influenza.[39,41]
 

Wirksamkeit und Sicherheit von Tot- und Lebendimpfstoffen

  • Für Menschen mit sekundären Immundefekten ist die Differenzierung zwischen Tot- und Lebendimpfstoffen von entscheidender Bedeutung.[39]
  • Bei der Anwendung von Totimpfstoffen besteht für immunsupprimierte Patienten kein erhöhtes Risiko durch das Impfantigen. Jedoch ist der Impfschutz aufgrund der verminderten Immunantwort häufig ungenügend; daher ist eine Kontrolle des Impferfolgs sinnvoll.[39,41]
  • Lebendimpfstoffe hingegen implizieren das Risiko einer Erkrankung durch den attenuierten, noch vermehrungsfähigen Impforganismus und dürfen daher bei eingeschränktem Immunsystem nur nach gründlicher Abwägung angewandt werden.[39]
  • Der beste Impfzeitpunkt und die Stärke der Immunantwort hängen nach einer anti-neoplastischen Therapie oder Stammzelltransplantation von der individuellen Erholung der T- und B-Lymphozyten ab.[41]
 

Totimpfstoffe bei anti-neoplastischer Therapie ⇓
Totimpfstoffe sind zwar unter einer anti-neoplastischen Therapie nicht mit einem erhöhten Sicherheitsrisiko verbunden, sie sind jedoch häufig nicht ausreichend wirksam, und es sollten bestimmte Abstände eingehalten werden.[41] Um einen bestmöglichen Impfschutz zu erzielen, sollten sie spätestens zwei Wochen vor Beginn und ab drei Monaten nach Ende der Therapie appliziert werden.[39,41] Lediglich für Influenza-Totimpfstoffe wird eine Verabreichung bereits während der anti-neoplastischen Therapie empfohlen, wenn die epidemiologische Lage eine Impfung erforderlich macht.[41,42]
Lebendimpfstoffe bei anti-neoplastischer Therapie
Wenn die Erkrankung bzw. deren Behandlung zu einer schweren Immunsuppression führen kann, ist die Durchführung von Lebendimpfungen vor Therapiebeginn sinnvoll.[39] Diese sollten bis spätestens vier Wochen vor Therapiebeginn abgeschlossen sein, da Lebendimpfstoffe unter laufender anti-neoplastischer Therapie aufgrund des Risikos schwerer Infektionen kontraindiziert sind.[39,41] Nach Behandlungsende ist die Wiederherstellung der Immunkompetenz des Patienten abzuwarten. Im Normalfall sollte der Abstand zwischen Abschluss der anti-neoplastischen Therapie und einer Lebendimpfung mindestens sechs Monate betragen.[39,41] Wurde ein B-Zell-depletierendes Antikörperpräparat eingesetzt, so ist es sinnvoll, sechs Monate nach Therapieende die B-Lymphozytenzahl zu bestimmen und erst bei normalisierten Werten einen Lebendimpfstoff zu verabreichen.[41]

Impfempfehlungen

Durch eine anti-neoplastische Therapie kann ein vorhandener Impfschutz nachlassen, sodass nach Therapieende Auffrischimpfungen oder sogar eine erneute Grundimmunisierung erfolgen sollten. Um die Anzahl der Impfungen zu minimieren, können hierfür verschiedene Kombinationsimpfstoffe zur Anwendung kommen.[41] Die in der nachfolgenden Tabelle aufgeführten Impfungen werden für Patienten mit sekundären Immundefekten in der Regel empfohlen.

 

Tabelle Impfempfehlungen

Impfstoffe Empfehlung unter bzw. nach anti-neoplastischer Therapie
Totimpfstoffe  
Haemophilus influenzae Typ b [41] Bei fehlender Grundimmunisierung: Nachholung der Impfung vor Einleitung oder während der Therapie mit zwei Impfstoffdosen im Abstand von 3 Monaten. Ohne Indikation für eine Impfung unter Therapie: Grundimmunisierung bzw. Auffrischung frühestens 3 Monate nach Therapieende.
Hepatitis B [41] Grundimmunisierung oder Auffrischung bei gegebener Indikation unter laufender Therapie; Wiederholungsimpfung ab 3 Monaten nach Therapieende mit Kontrolle des Impferfolgs.
Hepatitis A  [41] Ggf. Impfung unter laufender Therapie mit insgesamt 3 Impfstoffdosen.
Influenza [41] Jährliche Impfung ab dem Alter von 6 Monaten bei Patienten mit Immunsuppression. Bei bevorstehender Influenzasaison Impfung mit Totimpfstoff unter Therapie möglich, ansonsten ab 3 Monaten nach Therapieende.
Meningokokken [41] Ab 3 Monaten nach Therapieende Impfung gegen Meningokokken der Serogruppe A, C, W, Y und B. Ohne Grundimmunisierung zweimal ACWY im Abstand von 4‑8 Wochen.
Tetanus, Diphtherie, Pertussis [41] Bei gegebener Indikation Nachholung fehlender Grundimmunisierung oder Auffrischimpfung unter Therapie, ansonsten ab 3 Monaten nach Therapieende bzw. eine einmalige Wiederholungsimpfung.
Pneumokokken [41] Impfempfehlung bei Kindern: Konjugat-Impfstoffe PCV10 bzw. PCV13 ab 3 Monaten nach Therapieende. Impfempfehlung bei Erwachsenen: PCV13 ab 3 Monaten nach Therapieende, plus Polysaccharid-Impfstoff PPSV23 im Abstand von 6‑12 Wochen. Patienten mit akuter Leukämie: bei fehlender Grundimmunisierung eine Impfung mit PCV13 möglichst nach dem ersten Zyklus der anti-neoplastischen Therapie; Wiederholungsimpfungen ab 3 Monaten nach Therapieende mit PCV13 und 6‑12 Monate später PPSV23.
Poliomyelitis [41] Unter anti-neoplastischer Therapie sollte eine Impfung gegen Poliomyelitis nur in Ausnahmefällen durchgeführt werden. Für eine Wiederholungsimpfung gegen Poliomyelitis nach Abschluss einer anti-neoplastischen Therapie gibt es keine Empfehlung.
Herpes Zoster [41] Für Menschen über 50 Jahre mit erhöhtem Risiko ab 3 Monaten nach Therapieende zweimalige Impfung.
Lebendimpfstoffe  
Masern, Mumps, Röteln [38,43,44,48] Ab 6 Monaten nach Ende der neoplastischen Therapie in Abhängigkeit von der Erholung der Lymphozyten möglich (nicht bei fortbestehendem Immundefekt). Je nach Impfstoff-Hersteller bestehen Kontraindikationen für schwere humorale oder zelluläre Immundefizienz (angeboren oder erworben, z. B. schwere kombinierte Immundefizienz, Agammaglobulinämie), teilweise auch für pathologische Blutbildveränderungen, Leukämie, Lymphome oder andere Malignome mit Auswirkung auf das hämatopoetische oder lymphatische System.
Varizellen [38,45,48] Ab 6 Monaten nach Ende der neoplastischen Therapie in Abhängigkeit von der Erholung der Lymphozyten möglich (nicht bei fortbestehendem Immundefekt). Je nach Impfstoff-Hersteller bestehen Kontraindikationen für schwere humorale oder zelluläre Immundefizienz (angeboren oder erworben, z. B. schwere kombinierte Immundefizienz, Agammaglobulinämie).
Influenza [41,46] Für Kinder: Der im Alter von 2‑17 Jahren zugelassene attenuierte Lebendinfluenzaimpfstoff (LAIV) kann ab 6 Monaten nach Therapieende in Abhängigkeit von der Erholung der Immunzellen angewandt werden (nicht bei fortbestehendem Immundefekt). Kontraindikation laut Impfstoff-Hersteller für klinische Immunschwäche aufgrund von Erkrankungen oder infolge einer Therapie mit Immunsuppressiva (z. B. akute und chronische Leukämie, Lymphom).

Patienten unter fortlaufender Immunglobulintherapie

Zur Wirksamkeit von Impfungen unter Immunglobulintherapie gibt es nur eingeschränkte Daten. Jedoch sind Patienten mit sekundären Immundefekten, die eine regelmäßige Immunglobulintherapie erhalten, bis zu einem gewissen Grad gegen viele Infektionskrankheiten geschützt.[47] 

Die in Europa hergestellten polyvalenten Immunglobulinpräparate vermitteln unter anderem protektive Titer gegen Diphterie, Tetanus, Pneumokokken, Meningokokken und Haemophilus influenza Typ b. Unter dauerhafter, ausreichender Immunglobulintherapie sind Impfungen gegen diese Erkrankungen daher nicht indiziert.[47] Die STIKO empfiehlt bei Vorliegen einer T-/B-Zell-Restfunktion allerdings zusätzlich eine jährliche Influenza-Impfung und eine Grundimmunisierung bzw. Auffrischung gegen Hepatitis B, weil auch die impfstoff-induzierte T-Zell-Antwort zum Impfschutz beitragen könnte.[47] Die Impfantwort gegenüber Lebendimpfungen kann bei einer gleichzeitigen Therapie mit Immunglobulinen abgeschwächt sein, da die im Immunglobulin-Präparat vorhandenen Antikörper die attenuierten Impfviren neutralisieren können.[41] Daher wird üblicherweise empfohlen, vor MMR (Masern, Mumps, Röteln) bzw. Varizellen-Impfung drei bis acht Monate Abstand und nach der Impfung drei Wochen Abstand zur Gabe eines Immunglobulins einzuhalten. Andernfalls ist es notwendig, die Impfungen nach einem eventuellen Absetzen der Immunglobulintherapie zu wiederholen.[41]

COVID-19-Impfung

  • Menschen mit Immundefizienz oder Immunsuppresion haben ein erhöhtes Risiko für schwere Verläufe bei einer Infektion mit SARS-CoV‑2.[48]
  • Immunsupprimierende oder immunmodulierende Therapien sollten weitergeführt werden. Nach Möglichkeit sollte die COVID‑19-Impfung an einem anderen Tag als die regelmäßige Immunglobulintherapie und die Gabe von Immunsuppressiva erfolgen. Bei monatlicher intravenöser Immunglobulingabe sollte die Impfung in der Mitte der Verabreichungsintervalle bzw. bis zwei Wochen vor deren Beginn erfolgen, um Verwechslungen von möglichen Reaktionen auf den Impfstoff bzw. die Immunglobulintherapie zu vermeiden.[48,49]
  • Bisher ungeimpfte Patienten (ab dem Alter von fünf Jahren) mit Immundefizienz sollen grundsätzlich eine Grundimmunisierung und zwei Auffrischimpfungen mit einem mRNA-Impfstoff nach der altersspezifischen Empfehlung erhalten.[48]
  • Bei schwerer Immundefizienz können zur Grundimmunisierung mehrere Impfstoffdosen im Abstand von vier Wochen notwendig sein und zur Auffrischimpfung bis zu zwei Impfungen im Abstand von drei Monaten.[48]
 

Zusammenfassung Leitlinien zur Impfung bei SID [40]

 
Es wird empfohlen, notwendige Impfungen im frühen Krankheitsverlauf oder vor Beginn der Immunsuppression durchzuführen, da ein Fortschreiten der Krankheit die Immunität und die Wirksamkeit des Impfstoffs zunehmend beeinträchtigen kann.[40]
 
Aus Impfstudien gibt es nur wenige Daten zu Patienten mit sekundärem Immundefekt.
 

Diagnostik

Möglichkeiten und Methoden zur Diagnose von sekundären Immundefekten.

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IG-Therapie

Die Immunglobulin-
substitution kann intravenös oder subkutan erfolgen.

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Infomaterial

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